Pessimismus wird oft fälschlicherweise für eine Eigenschaft der "Klugen" gehalten und mit Intelligenz verwechselt. Dies ist eine Illusion. Pessimismus hat jedoch weder etwas mit Weitsicht noch mit der Realität zu tun. Pessimismus lässt sich vielmehr durch intellektuelle Kurzsichtigkeit, mangelnde Vorstellungskraft und geistige Trägheit erklären. Der Pessimist verewigt und verallgemeinert die Dunkelheit des gegenwärtigen Augenblicks, macht damit vorübergehende Situationen dauerhaft und verdunkelt die Zukunft mit dem Schatten der Gegenwart. Diese Sichtweise ist keine Intelligenz, sondern ein Zustand der indirekten Kapitulation, der in Angst lebt.
Optimismus hingegen ist keine passive Naivität, sondern eine aktive und hinterfragende Denkaktivität. Ein Optimist lässt sich nicht von der Dunkelheit, die an der Oberfläche erscheint, täuschen; er/sie analysiert in der Tiefe, sucht nach Auswegen und bewertet alternative Möglichkeiten. Er/sie begreift Hoffnung nicht als einen rosigen Traum, sondern als die Dynamik, die dem Leben zugrunde liegt. Der Fluss des Lebens neigt zum Optimismus, denn die Natur bleibt nicht stehen, sie verändert und erneuert sich. Ein Optimist ist ein Mensch, der sich mit dieser Veränderung im Einklang mit ihr bewegt. Und er tut dies, ohne sich auf konventionelle Wege und Denkformen zu beschränken.
Der Pessimist verwandelt seinen Geisteszustand in ein universelles Prinzip. Er hält die Depression von heute für die Wahrheit von morgen. Er besiegelt die Zukunft mit den Traumata der Vergangenheit. Da er kein Licht in der Dunkelheit sehen kann, wird er still; wenn er still wird, wird er passiv, und wenn er passiv wird, akzeptiert er die Dinge, wie sie sind. Diese Kapitulation ist ein Akt, der nicht nur ihn, sondern auch diejenigen, die an ihn glauben, zur Verzweiflung bringt.
Darüber hinaus stützt sich der dogmatische Pessimist auf seine eigene enge Wahrnehmung der Realität, in der die Quellen, die seine Ideen nähren, erschöpft sind. Anstatt zur Wahrheit zu gelangen, rekonstruiert er sie nach seinen eigenen Ängsten. Er argumentiert auf seine Weise, aber in Wirklichkeit verschleiert er damit seine Angst. Dies ist nichts anderes als eine Sabotage der Realität, die unter dem Namen "Realismus" betrieben wird.
Das intellektuelle "Denken", das einen linearen Charakter hat, macht uns depressiv, weil es uns mit unserer Sterblichkeit, unseren biologischen Grenzen und unserer Einsamkeit als "Ich" konfrontiert. Das Ergebnis des Denkens ist, dass wir nicht unbedingt endgültige Antworten auf unsere Fragen finden und das Denken in seinem fortgeschrittenen Stadium ein fruchtloser Prozess bleibt (1). Nicht-lineares und nicht-Ego-basiertes Denken -zum Beispiel der Zustand, den die Daoisten "Wu Wei" nennen- ist jedoch eine Art "nicht-lineares Denken", das vorschlägt, dem inhärenten Fluss des Lebens zu vertrauen. Außerdem ist Wu Wei einer der bekannten natürlichen Wege, mit Zufällen umzugehen (2).
Der Pessimist produziert oft unbewusst das, was er befürchtet. Um auf schlechte Situationen vorbereitet zu sein, produziert er Schritt für Schritt die Bedingungen für diese Situationen. So wird der Pessimist zum Statisten in dem schlechten Szenario, das er selbst geschrieben hat. Er schließt gute Möglichkeiten aus und ignoriert sie mit der Begründung, sie seien nicht "realistisch". Mit dieser Einstellung merkt der Pessimist nicht, dass er einen Mord an der Zukunft begeht. Der Pessimist wertet die Hoffnung ab, setzt Träume herab und versucht, das Neue zu zerstören, indem er es herabsetzt. Wenn beispielsweise Pessimisten Optimisten als "Pollyannisten" (3) bezeichnen, ist das nicht nur eine Verharmlosung, sondern auch ein aktiver Versuch, Optimisten zu behindern. Doch ein Geist, der nicht träumen kann, der sich nichts Besseres vorstellen kann, ist dazu verdammt, nur mit den Überresten der Vergangenheit zu leben und sich im Sumpf der Vergangenheit zu suhlen. Der Pessimist untergräbt sowohl seine eigene Originalität als auch die der anderen.
Wie heute in der Türkei, wo die Menschen die Mauern der Angst überwunden und die Initiative in die eigenen Hände genommen haben, wird das Hören auf die Pessimisten und die Teilnahme an ihrer ängstlichen Dunkelheit nur zu Verzögerungen führen. Mut ist nicht Furchtlosigkeit, sondern das Handeln trotz Angst. Und nur dann hat das Leben einen Sinn. In Zeiten großer Veränderungen/Umwälzungen ist es notwendig, nicht auf Pessimisten zu hören, die die Maske des "Realismus" tragen, sondern auf Optimisten, die mutig zu träumen wissen.
(1) George Steiner, “Warum Denken traurig macht” 2005
(2) Theo Fischer, “Wu Wei, Die Lebenskunst des Tao” 1991
(3) Die Türken nennen Optimisten “Polyannaist”. Es geht auf die Hauptfigur des Romans “Polyanna” zurück, ein junges Mädchen, das selbst in den schlimmsten Situationen immer etwas Positives findet. Das Buch wurde von Eleanor H. Porter geschrieben (1913).